Die Herzratenvariabilität (HRV) – mehr als ein EKG

Die Schnelligkeit, in der das Herz schlägt, wird unter anderem durch das neurovegetative System beeinflusst, worunter man den Sympathikus (Leistung) und Parasympathikus (Regeneration) versteht. Dieses System existiert in unserem Körper seit Jahrtausenden und bietet einen klaren Überlebensvorteil.

Wird der Sympathikus aktiviert – z. B. auf der Flucht vor einem Raubtier – reagiert unser gesamter Körper mit einer Kaskade, die ein Entkommen möglich macht. Unsere Pupillen werden weiter (Erweiterung des Blickfeldes, um Fluchtmöglichkeiten auszuloten), die Bronchien weiten sich (mehr Sauerstoffaufnahme möglich), das Herz schlägt schneller (erhöhter Blutfluss, um viel Sauerstoff in jetzt lebenswichtige Organe wie z. B. die Muskeln zu transportieren) und so weiter. Gleichzeitig vermindert sich die Aktivität des Magen-Darm-Traktes – Verdauung ist in diesem Moment unwichtig und ein Toilettengang wahrscheinlich tödlich.

Sitzen wir nun nach geglückter Flucht in der schützenden Höhle, wird der Parasympathikus aktiviert, d. h. Entspannung und Regeneration treten ein: Puls und Atmung werden wieder langsamer, die Pupillen enger und auch die Verdauung beginnt wieder.
An diesen Reaktionen in unserem Körper hat sich nichts geändert, aber anstelle des Raubtieres aktivieren nun andere – ständige – Stresssituationen den Sympathikus – ständige Reizüberflutung, ständige Erreichbarkeit, ständiger Lärm, ungesunde Lebensweise und andere. Leider sind dies Situationen, die meist keine schnelle Flucht ermöglichen. Somit fehlt in unserem Körper die gesunde und gesund machende Gegenregulation durch den Parasympathikus. Selbst wenn wir ausreichend Zeit für Entspannung haben, nutzen wir auch diese Zeit nicht adäquat – lieber sehen wir fern, gehen online, machen übertrieben Sport oder essen zu viel. Setzen uns also weiteren Stressoren aus.

Um das Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus in unserem Körper widerzuspiegeln, nutzen wir mit der HRV-Messung nicht nur die Herzfrequenz, sondern vor allem die Variabilität des Herzschlages: ein gesundes Herz schlägt nicht maschinell oder gleichförmig, sondern in einem gewissen Maße unregelmäßig, ein Ausdruck für seine harmonisch simultane Anpassungsfähigkeit und Ausdruck eines ausreichenden Erholungszustandes. Ein Durchbrechen von Krankheitsprozessen sowie die Aktivierung körpereigener Reparaturvorgänge finden auch nur im Erholungszustand statt!

Zeigt sich bei der HRV-Messung jedoch eine z. B. konstant mäßig erhöhte sowie relativ starre Herzfrequenz, ist dies ein deutlicher Hinweis auf unzureichende Entspannung – diesen Kreis zu durchbrechen sollte das Ziel sich anschließender Therapien sein.

Quelle: Fritz Helmut Hemmerich, Wendepunkt Burnout
Bahr et al, ZAA 03-2012

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